Einen Blick über den Tellerrand werfen und den Himmel offen sehen
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Gebete zum Ewigkeitssonntag
Blick über den Horizont
Herr,
ich bin allein – einsam,
ohne Beziehungen, die mich bereichern,
ohne Begegnungen, die mich beschenken,
ohne Leben, das mir Sinn gibt,
in mich verschlossen, eingeschlossen,
verschalt und verhärtet,
beengt und voll Ängste,
arm und klein
wie ein Weizenkorn
das allein bleibt.
Herr,
in der Taufe
hast du einen Lebenskeim in mich hineingelegt –
winzig und klein und doch:
mit allen Möglichkeiten
des Wachstums,
der Entfaltung
und des Lebens –
mit allen Anlagen
zur Wurzel.
zum Halm,
zur Blüte und zur Frucht
wie ein Weizenkorn.
Herr,
befreie mich – dich in mir!
erlöse mich – dich in mir!
wecke dein Leben in mir zu ewigem Leben!
nimm mich an – nimm mich auf
in dein Erd-Reich!
Ich lasse mich fallen in deine Erde:
in Gelebtes,
Gewesenes,
Verwestes,
in Gestorbenes,
in den Tod –
in deinen Tod,
wie ein Weizenkorn,
das in die Erde fällt
und erstirbt.
Herr,
in deinem Tod geborgen
wage ich – zögernd nur – mein eigenes Sterben –
in deinem Tod geborgen
bricht meine Schale auf –
in deinem Tod
tränkst du mich mit lebendigem Wasser –
in deinem Tod
durchdringst du mich mit der Wärme deiner Liebe –
in deinem Tod
nährst du mich mit deinem Leib –
in deinem Tod
werde ich weich und zart,
verletzlich und durchlässig –
in deinem Tod
reife ich zum Leben
wie ein Weizenkorn
das in die Erde fällt
und erstirbt.
Herr,
eigenes Sterben leben
- im Hineingenommensein in deinen Tod -
gibt Leben frei,
neues, ewiges Leben;
durch deine Auferstehung geweckt –
in deine Auferstehung hineingenommen –
aufersteht dein Leben in mir.
Es keimt zaghaft durch die zerbrochene Schale,
es wurzelt und verankert sich in der Erde,
es drängt durch das Dunkel zum Licht,
es wächst: stetig, drängend, nach oben
wie ein Weizenkorn
das in die Erde fällt
und erstirbt.
Herr,
Altes ist gestorben
und bleibt im Tod:
die Schale, leer und spröde,
Hülle des Ewigen,
zerfällt und verwest;
sie wird beerdigt;
bereit, aufzunehmen und zu bergen,
was in sie hineinfällt,
ein Weizenkorn.
Herr,
das Neue,
vom Tod zum Leben Erwachte,
entfaltet sich
wie von unsichtbarer Hand geordnet und geführt;
deine Hand schenkt Höhe, Breite und Tiefe,
immer mehr,
immer reicher und vielfältiger,
blühend und reifend,
wie ein Weizenkorn
das in die Erde fällt
erstirbt
und so
viel Frucht bringt.
Herr,
ich bin nicht mehr allein;
gemeinsam mit den anderen
um mich herum
wachse ich zur Blüte und zur Frucht
dreißig-, sechzig-, hundertfältig,
gemeinsam und geschützt,
wie ein Feld,
das weiß wird zur Ernte.
Herr,
und wenn Sturm,
wenn Gewitter und Wasser kommen,
wenn ich geknickt werde,
wenn du mich knickst,
wenn ich am Boden liege
und mich nicht mehr aufrichten kann,
wenn ich ganz nah an der Erde,
ganz nah dem Tode,
im Dunkel und Schatten bin,
dann weiß ich,
dass auch ein geknickter Halm
Frucht bringt:
dreißig-, sechzig-, hundertfältig
denn:
den geknickten Halm
wirst du nicht zerbrechen.
Herr,
und dann die Frucht,
deine an mir, in mir, durch mich hindurch
gewachsene Frucht:
Sie wächst nur,
wenn die Blüte stirbt –
sie wächst nur,
wenn der Halm gelb wird und stirbt –
sie wächst nur,
wenn die Blätter spröde werden und sterben –
sie wächst nur
durch den Tod des Geborenen, Gekeimten,
Gewordenen, Geblühten
und Gelebten,
durch Tod zum Leben,
reichem, überreichem Leben,
durch Sterben zur Auferstehung,
wie das Weizenkorn
Jesus Christus.
Herr,
immer wieder,
immer wieder neu
rufst du mich durch Sterben zum Leben,
lockst du mich zu immer reicherem,
vielfältigerem Leben:
Leben, das durchlitten ist,
Leben, das durch-gestorben ist,
hindurch zum Leben, das bleibt –
Leben, das sich vermehrt,
Leben für den neuen Himmel und die neue Erde,
Leben ganz und in Fülle mit dir.
Du –
mein ersehntes Leben.
Geheimnis des Glaubens:
Deinen Tod, o Herr,
verkünden wir
und deine Auferstehung
preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit.
Autorin: Sr. Ruth Meili CCR, Communität Casteller Ring
26.06.2014
Anne Lüters